Spielend Deutsch Lernen

Verbreitung vorschulischer Sprachförderung für Kinder von Wanderarbeitern und Fortbildung von Kindergartenpersonal

EU – gefördertes Projekt vom 1.12.1994 bis 30.11.1996

gekürzte Passagen aus VIA Magazine: Manfred Quickert und Mehmet Celik: Spielend Deutsch Lernen im Kindergarten Teil 1 und Teil 2, zu beziehen über den IKS zu € 4.- plus Versand)

  • Träger: IKS Internationaler Kulturverein – Sprachakademie e.V.
  • gefördert von der Europäischen Union, Stadt Mainburg (Projektförderung) und Arbeitsamt Landshut (ABM)
  • beteiligte Kindergärten: Kindergarten des katholischen Kinderhort Mainburg, Städtischer Kinder­garten, Mainburg

Verantwortliche Fachmitarbeiter:

  • Manfred Quickert, Diplomsozialpädagoge (Projektentwicklung, Durchführung, Supervision, Didaktik, Seminarprogramm, Veröffentlichung)
  • Mehmet Celik, Sozialpädagoge (Sprachförderung Seminarprogramm, Veröffentlichung)
  • Mehmet Ulutas, Kursleiter DfaA, Theaterregisseur; (1. Projektjahr)

Betreute Kinder:

nsgesamt: 128 Kinder

zumeist türkischer, serbischer oder kroatischer Muttersprache (95 %)

Aufgabenstellung des Projekts

Ziele:

  • gezielte zusätzliche Förderung von Migrantenkindern im Bereich der deutschen Sprache in spielerischer und dem Entwicklungsstand der Kinder angemessenen Form.
  • Entwicklung eines Seminarprogramms für Kindergartenpersonal aus den gewonnenen Erfahrungen in Verbindung mit den Veröffentlichungen vorangegangener Projekte.
  • Fortbildung der beteiligten Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen
  • Einbeziehung der Eltern durch Veranstaltungen, Kurse und Einzelgespräche in die Projektarbeit. Weshalb „Spielend Deutsch Lernen”? – Ausgangslage

Nach wie vor sind Kinder von Migranten in ihrer schulischen Ausbildung benachteiligt. Eine Ursache ist in den oft nicht ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache zu suchen. Elternhaus wie Schulen sind hier oft überfordert. Häufig wird die Überzeugung vertreten, dass ein Besuch eines Kindergartens im Vorfeld der Schule für die Kinder „quasi von selbst” das Sprachproblem löst. Dies ist allerdings nur in Einzelfällen gegeben, ist aber dort, wo eine größere Anzahl von Kindern fremder Muttersprache Kindertagesstätten besucht, eine Annahme, die durch die Erfahrung nicht bestätigt werden kann. (…)
Die berechtigte und für eine positive Identität bedeutsame Bildung der eigenen kulturellen Identität – die mit zunehmendem zeitlichen Abstand der Migration immer weniger mit der des ehemaligen Heimatlandes übereinstimmt und zu einer von Sprache, Nationalität und Religion geprägten Subkultur in Deutschland wird – gerät in Konflikt mit den sozialen und kulturellen Eigenheiten des Landes der Immigration. Die eigene Identität (und Identitätsbildung) wird ungünstig beeinflusst von auf persönlichen Erfahrungen basierenden Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühlen, welche in Idealisierung der Herkunftsländer, übersteigertem Nationalismus, und im Falle von Muslimen auch zur Anhängerschaft fanatischer religiöser Organisationen führen. Nationalklassen verschärfen die Konflikte und schaffen Trennlinien, wo keine nötig wären. Gäbe es einigermaßen gleichwertige sprachliche Voraussetzungen im Deutschen, könnte die Muttersprache deutlicher als ein Wissensvorsprung gegenüber rein Deutschsprachigen mehr zur Entfaltung kommen und zu einem positiven Selbstwert­gefühl der Migranten beitragen. (…)

Sprachpädagogische Ergebnisse

Sprachprogression

Die Fördereinheiten wurden mit dem Ziel gestaltet, progressiv die Kenntnisse der Kinder auszubauen. Die Sprachprogression wurde nach folgenden Kriterien angelegt.

  • Vom Leichten zum weniger Leichten
  • von einer kurzen Aussage zu einem längeren Satz
  • vom Notwendigen, häufiger Verwendeten zu weniger häufig Verwendetem

Hierbei richteten sich die Sprachhelfer an den didaktischen Grundideen der Erwachsenenbildung und den Materialien zur kindlichen Sprachförderung aus.

Sprachprogression

Die Fördereinheiten wurden mit dem Ziel gestaltet, progressiv die Kenntnisse der Kinder auszubauen. Die Sprachprogression wurde nach folgenden Kriterien angelegt.

  • Vom Leichten zum weniger Leichten
  • von einer kurzen Aussage zu einem längeren Satz
  • vom Notwendigen, häufiger Verwendeten zu weniger häufig Verwendetem

Hierbei richteten sich die Sprachhelfer an den didaktischen Grundideen der Erwachsenenbildung und den Materialien zur kindlichen Sprachförderung aus.

Der Grundaufbau der Sprachprogression kann dabei so aussehen:

grammatische Progression

sprachliche Inhalte

Ist – Sätze und Personalpronomen im Singular: ich, du, er, sie

Nennung des Namens

Benennung von Dingen

Fragen mit wie und wer

Wie heißt du/er/sie?

Wer ist das?

ein/eine

Benennung von Dingen

der, die, das

Benennung von Dingen

Verben im Singular; Wir-Plural

z. B: ich spiele Ball – du spielst Ball

er/sie spielt auch Ball

wir spielen Ball

Plural

Zahlen und zählen können

zwei, drei, vier Bausteine / Autos / Puppen / Kinder

Adjektive

Farben

Eigenschaften von Kindern

Eigenschaften von Gegenständen

Präpositionen im Dativ (einschl. Wechselpräpositionen) mit Wo – Frage

z. B: Wo bist du?

Ich bin auf/unter dem Tisch usw.

Präpositionen im Akkusativ (einschl. Wechsel­prä­positionen)
Fragen mit Wohin

z.B. Wohin gehst du?

Ich gehe in den Kindergarten

Adjektive deklinieren mit bestimmtem Artikel

z. B: das rote Auto, die blaue Mütze, der bunte Ball

Adjektive deklinieren mit unbestimmtem Artikel

erweiterbar mit Possessivpronomen

z. B: ein rotes Auto, eine blaue Mütze, ein bunter Ball

mein rotes Auto, dein bunter Ball …

Vergangenheit (nur Perfekt)

Ich habe gestern Ball gespielt

Ich bin gestern bei „X” gewesen.

Darüber hinaus wurde der sogenannte „ungesteuerte Spracherwerb” im Kindergarten/ zu Hause/ draußen/ im Elternhaus, der durch Hören, Beobachten und Nachahmen gekenn­zeichnet ist, in die Sprachförderung eingebaut. (…)
Große Fortschritte in der Sprachentwicklung der Kinder konnten im Projektzeitraum in beiden Kindergärten beobachtet werden. Durch die Zusammenarbeit im Kinderhort im Rahmen der Monatsbesprechungen, starke Mitarbeit in der Förderung und Übertragung von Einheiten in die Gesamtgruppe konnte dort insgesamt eine gute Sprachentwicklung erzielt werden. Als Erfahrungen können festgehalten werden:

  • Die aktive Teilnahme der Erzieherinnen motiviert die Kindern schneller, mehr mit ihnen zu sprechen. (geringere Hemmschwelle)
  • Die Mithinübernahme des Erlernten in die Gruppe ermöglicht den Kindern eine schnellere Anwendung (schnelle Übertragbarkeit)
  • Dasselbe gilt, wenn Inhalte der Sprachförderung und des Kindergartens miteinander korrespondieren. Bei „externen” Sprachhelfern, also Personen, die nicht dauernd in der Kindergartengruppe arbeiten, ist die Kommunika­tion von Sprachhelfer und Erzieherinnen von immenser Bedeutung. (Informationsaustausch, Feed Back)
  • Die Begeisterung der Erzieherinnen für die Sprachförderung „steckt die Kinder an”. (positive Verstärkung)
Verfügbare Materialien und Lehrwerke

Bibliographie in den o.g. Broschüren

Tätigkeiten und Ergebnisse im Seminarbereich

Es wurden im Projektzeitraum 6 Veranstaltungen durchgeführt bzw. angeboten, die der Vermittlung von Hintergrundwissen über die Sprache, kulturelle und religiöse Herkunft und Lebenssituation von Migrantenkindern dienten (Nr. 1 bis 4 in o.g. Broschüre enthalten):

  • Sprachvergleich Deutsch – Türkisch; Zur besonderen Situation des Spracherwerbs bei türkischen Muttersprachlern, Der Islam; Geschichte, Lehre und heutige Praxis des Islam unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Deutschland
  • Lebenssituation von Migrantenfamilien in Deutschland; Schwerpunkt türkische Migranten
  • Zur Didaktik vorschulischer Sprachförderung
  • zwei Türkisch Kurse für Erzieherinnen
  • Fortbildung der Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen durch Beteiligung an der Sprachförderung

Konzepte der Kindergartenarbeit und Einschätzung hinsichtlich der sprachlichen Förderung von Migrantenkindern

Vorbemerkung:

„Jede Erzieherin, die Ausländerkinder betreut, sieht sich alltäglich mit den konkreten Erscheinungs­formen und Problemen der Zweisprachigkeit konfrontiert. Das Bemühen, sich den für eine gezielte Förderung der ihr anvertrauten Kinder nötigen theoretischen Einblick (…) zu verschaffen, scheitert aber meist an der verwirrenden Vielzahl und Widersprüchlichkeit der Meinungen. Die Zweisprachigkeit ist hierzulande erst als Folge des Zustroms von Gastarbeitern (…) zu einem Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden. Zweisprachigkeit ist heute längst nicht mehr ein gesellschaftliches Privileg, sondern alltägliche Praxis breitester Bevölkerungsschichten in vielen Teilen der Welt. Nach Fishman, einem der führenden Experten auf diesem Gebiet, ist gut über die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung als zweisprachig zu betrachten …”. (W. Maier, Deutsch lernen im Kinder­garten, Bon Bosco S. 33) Durch die Tätigkeit in zwei verschiedenen Kindergärten hatte das Projekt mit verschiedenen Konzep­tionen der Kindergartenarbeit zu tun. Diesbezügliche Erfahrungen waren für die Entwicklung von Seminaren zur Sprachförderung von Migrantenkindern eine Bereicherung. Im folgenden fassen wir unsere Erfahrungen, Beobachtungen und Erkenntnisse zusammen. Es geht dabei um die Frage, wie sich verschiedene Herangehensweisen auf die sprachliche und soziale Entwicklung der Betroffenen auswirken, also darum, Aspekte der Konzeptionen dahingehend zu untersuchen. Nicht beabsichtigt ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Konzepten, die alle ihren Sinn und Berechtigung haben. Hinterfragt wird also hier das Verhältnis zwischen Kindergartenkonzept und der Tatsache des Besuchs zahlreicher Kinder fremder Muttersprache. (Fortsetzung siehe: Spielend deutsch Lernen im Kindergarten, Teil 1)

Die Veränderung der klassischen Aufgabe der Kindergärten

Die Tatsache, dass viele Kinder fremder Muttersprache die Kindergärten besuchen, haben diese verändert und werden sie weiter verändern. Solange dies als ein Problem und nicht als eine neue Aufgabe und Herausforderung gesehen wird, wird der Kindergarten bemüht sein, seine bisherigen Konzepte beizubehalten. Es ist die Frage zu stellen, ob wir angesichts der Veränderungen, die diese Kinder eingebracht haben – ja die sie allein durch ihre Anwesenheit fordern – sie oder diese Konzepte als Problem zu betrachten haben. Sind es die Kinder, die an die bisherigen Konzepte angepasst werden sollen, oder sind es die Konzepte, die den Kindern und ihrer jeweiligen Situation gerecht werden sollen? Auf die Kindergärten ist eine neue Aufgabe von historischer Dimension zugekommen. Auch wenn die Antwort auf die oben gestellte Frage einfach erscheint, so ist die Umsetzung mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Alternative dazu wäre nur der Ausschluss von Migrantenkindern aus den „deutschen” Kindergärten – etwas, das ein Teil der deutschen Eltern sich durchaus vorstellen mag. Sie sind es auch, die – und das ist erst mal so richtig – einen Verfall des Niveaus der betroffenen Kindergärten bemängeln. Für die ausländischen Eltern stellt sich dies ebenso dar: „Das deutsche Sprachbad des Kindergartens, von dessen selbsttätigen Kräften man sich anfangs so viel versprochen hat, hat nachweislich versagt.” (Maier S. 51) Die Eltern erkennen die Bedeutung guter deutscher Sprachkenntnisse klar und stehen dieser Sprache weitaus aufgeschlossener gegenüber als weithin vermutet. Da sie aber über diese Kenntnisse nur in geringem Maße verfügen, liegen ihre Hoffnungen bei den Kindergärten. Sich diesen Wünschen – ja Notwendigkeiten – anzunehmen, darin besteht diese historische Aufgabe. „In Anbetracht der spezifischen Belastungen und der sprachlichen Situation der ausländischen Kinder kommt ihrer vorschulischen Erziehung und Förderung besondere Bedeutung zu. Mit den vielfältigen Entwicklungschancen und Kontaktmöglichkeiten zwischen deutschen und ausländischen Kindern, die der Kindergarten bietet, vermag er das ausländische Kind – im Zusammenwirken mit den Eltern – aus seiner Isolation herauszuführen. Über seine familienergänzende Funktion hinaus kann er zu einer Begegnungsstätte und zur Lebenshilfe für Kinder und Eltern werden.” (Zentralkomitees der deutschen Katholiken, 9.12.1981) In der nicht leistungsorientierten und eher angstfreien Atmosphäre des Kindergartens kann eine positive Einstellung zur deutschen Sprache entstehen und die Aufweichung von Blockaden erfolgen. Kindergärten sollen „die ausländischen Eltern in ihrer Erziehungsarbeit” unterstützen „und die Kinder nicht etwa dem Elternhaus, der Muttersprache (…) entfremden (…) sondern ganz im Gegenteil die Herausbildung einer zweisprachigen Sprachkompetenz” anstreben. (Maier S. 48) Sprachförderung und interkulturelles Lernen sollen über die Möglichkeiten des Projekts hinaus – deren Mitarbeiter nur zeitweise in den Kindergärten tätig waren – integraler Bestandteil von Kinder­gartenkonzepten der Zukunft werden. Es ist die Wahl zwischen einer Regression zur Aufbewahranstalt und dem Sich – Stellen der Herausforderungen einer Zeit, in der Wanderbewegungen eine Selbst­verständlichkeit geworden sind.